(...) Nun bläst die
prominente europäische Linken-Vorhut zur Attacke und singt das Hohelied
nationalstaatlicher Souveränität: "Die Demokratien der Mitgliedsstaaten
brauchen Luft zum Atmen und den politischen Raum, der ihnen die
Möglichkeit gibt, sinnvolle Politik auf einzelstaatlicher Ebene
voranzubringen." Mit ihrem Vorstoß treiben sie einen Keil in das linke
Lager und bauen eine Front zu Gregor Gysi, der Links-Ökologin Katja
Kipping und anderen Kräften auf, die auch weiterhin fest zur EU und zu
Tsipras stehen. Gysi reiste sogar nach Athen, um Wahlkampf für die Reste
der Syriza-Partei zu machen, die zerbrach, als sie im Parlament gegen
die eigene Überzeugung und Programmatik stimmen musste.
Hätte Tsipras erfolgreich gegen Sparauflagen klagen können?
Seither
fragen sich viele Linke: War das wirklich nötig? Hatte Tsipras wirklich
keine andere Wahl? Zweifel scheinen zumindest angebracht. Zwar wird
sein Handeln offiziell auch von den neuen Euro-Gegnern wie Sahra
Wagenknecht gerechtfertigt. "Die EZB hat ihn erpresst, weil sie damit
drohte, die griechischen Banken pleitegehen zu lassen", nimmt sie den
Syriza-Vorsitzenden in Schutz. Aber dass Tsipras bewusst den
Varoufakis-Vorschlag einer Parallelwährung in den Wind schlug und die
Forderung der Geldgeber akzeptierte, den Finanzminister von
internationalen Konferenzen auszuschließen, stößt bei den Euro- und
EU-Kritikern in den Reihen der Linken auf Unverständnis.
Hinzu
kommt, dass Tsipras wohl auch Vorschläge für eine juristische Abwehr
der von den Gläubigern geforderten Sparauflagen ignoriert haben könnte.
Während des Referendums über die Sparauflagen der Gläubiger
veröffentlichten die UN eine Stellungnahme der Menschenrechtsexpertin
Victoria Danda und der Experte für demokratische und gleichheitsgerechte
Ordnung, Alfred de Zayas, dass völkerrechtliche Verträge und
Kreditvereinbarungen, "die zur Verletzung universeller Menschenrechte
zwingen", nach Artikel 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention nichtig
seien.
(underlining by me, JJT)
Bereits ein Jahr zuvor hatte die deutsche Menschenrechtsaktivistin Sarah Luzia Hassel-Reusing dem Syriza-Führer
darauf hingeweisen, dass die Kreditverträge nicht mit den
UN-Menschenrechten vereinbar seien. "Darauf hätte sich Tsipras berufen
und mit Hilfe der UN vor den Internationalen Gerichtshof ziehen können",
sagt Hassel-Reusing und stellt fest: "Jedenfalls sind die von ihm
unterschriebenen Memoranden höchstwahrscheinlich nichtig."
Vor
wenigen Tagen verabschiedete die UN-Generalversammlung ganz in diesem
Sinne mit der überwältigenden Mehrheit von 136 zu sechs Stimmen "Neun
Prinzipien für einen fairen Umgang mit überschuldeten Staaten". Sie
lauten: Souveränität, guter Glaube, Transparenz, Unparteilichkeit,
Gleichbehandlung, Staatenimmunität, Rechtmäßigkeit, Nachhaltigkeit und
Mehrheitsentscheidungen.
Grundbedürfnisse vor Gläubigerinteresse
Gegen
diesen Beschluss votierten Deutschland, Großbritannien, Israel, Japan,
Kanada und die USA. Kaum war das Votum bekannt geworden, lancierte
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein dreiseitiges "internes Papier
für eine europäische Insolvenzordnung" an die Öffentlichkeit, bei der
der Internationale Währungsfonds eine entscheidende Rolle einnimmt. (...)
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